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Selbstwertgefühl und psychische Gesundheit


Was bedeutet ein positives Selbstwertgefühl überhaupt?


Ich würde sagen, es meint, sich selbst gut zu kennen, über seine Charaktereigenschaften, Vorlieben, Stärken, Schwächen, Fähigkeiten und Anlagen Bescheid zu wissen, also ein Gespür dafür zu haben, wer man ist; und zusätzlich das Gefühl zu haben, in Ordnung zu sein, genauso wie man ist. Es meint, sich selbst generell als liebenswürdig, wertvoll und bereichernd für seine Umwelt zu empfinden, auch wenn man Fehler macht, in zwischenmenschliche Konflikte gerät, von anderen kritisiert oder sogar abgewertet wird. Menschen mit einem starken Selbstwertgefühl können eigene Fehler eingestehen, statt sie zu überspielen oder die Schuld auf andere abzuschieben. Denn sie wissen in ihrem innersten, dass sie selbst dann noch wertvoll sind, wenn sie „mal danebenhauen“. Sie können außerdem gut mit Konflikten umgehen, da sie – ohne etwas verbergen zu müssen – zu offenen Aussprachen bereit sind. Bei Kritik können sie reflektieren, inwiefern diese Kritik von anderen berechtigt ist, welche Verbesserungen sie gegebenenfalls vornehmen könnten und welchen Teil der Kritik sie auch wieder zurückgeben bzw. bei der kritisierenden Person lassen.


Kurz gesagt: Menschen mit einem guten Selbstwertgefühl wissen, dass sie nicht perfekt sind, sind jederzeit offen für Weiterentwicklung und Arbeit an der eigenen Persönlichkeit, erkennen aber auch, dass nicht immer alles, was ihnen an Negativem im Leben entgegenkommt, mit ihnen selbst zu tun hat. Oft liegt es auch ganz einfach an der anderen Person, die mit sich selbst unzufrieden oder im Unreinen ist. Dieses Wissen ist der Grund, warum sie bei Abwertung von anderen Menschen die Grenze ziehen. Sich abwerten lassen und ein starkes Selbstwertgefühl haben passt einfach nicht zusammen. Deshalb – das sei nur am Rande bemerkt – ziehen Menschen mit stark narzisstischen Anteilen auch meistens Menschen mit einem schwachen Selbstwertgefühl an. (Zum Thema Narzissmus kommt demnächst ein weiterer Blog-Beitrag).


Menschen mit einem starken Selbstwert sind angenehme Mitmenschen, die keinen großen Wind um sich machen, weil sie es gar nicht nötig haben, andere groß zu beeindrucken oder von allen bewundert zu werden. Sie entwickeln einfach ihre Talente, gehen ihren Interessen und Berufungen nach. Wenn sie dabei erfolgreich werden, freuen sie sich natürlich darüber. Aber der Erfolg ist keine Bestätigung ihres Selbstwertes, den sie ohnehin schon vorher besaßen. Sie können also glänzen, müssen aber nicht. Es gibt keinen (Leistungs)druck, weil sie ihren Selbstwert nicht über eine Leistung definieren. („Erst wenn ich das geschafft habe, bin ich wer!“). Da es nicht um „das eingemachte“ (den Selbstwert) geht, können Menschen, die gut verankert sind und sich selbst lieben, leichter mutig sein und ihre Träume versuchen zu verwirklichen. Gelingt es, perfekt; gelingt es (noch) nicht, steht auch nichts auf dem Spiel. Menschen mit wenig Selbstwertgefühl müssen allerdings kompensieren, sie haben einen ungeheuren Druck, große Leistung zu erbringen, sich zu beweisen, der Welt zu zeigen, wie toll sie sind. Auf diese Art vertuschen sie die Traurigkeit darüber, nicht um sich selbst willen geliebt worden zu sein bzw. geliebt zu werden.


Menschen mit einem starken Selbstwertgefühl kennen sich also selbst sehr gut, nehmen sich selbst auch so an, wie sie sind und vor allem: sie lieben sich selbst so wie sie sind. Sie fühlen sich zentriert und in ihrer Mitte, ganz und gar verankert. Das klingt wahrlich schön, doch…


wie entsteht ein gutes Selbstwertgefühl überhaupt?


Es entsteht, wenn man als kleines Kind ein Gegenüber hat, das präsent ist und einem durch immer wiederkehrende, tägliche Zuwendungen voller Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zeigen/spiegeln kann: „DAS bist DU“, ja mehr noch: „so wie du bist, bist du wunderbar!“ und „ich freue mich sehr, dass du da bist“. Erfährt ein kleines Kind immer wieder, dass es vollkommen angenommen wird von seinen Eltern/Bezugspersonen, egal ob es fröhlich, traurig, zornig oder aggressiv ist, dass es in Ordnung ist, wenn es sich mal anders verhält, als von ihm erwartet wird, dass es genauso, wie es ist, bedingungslos geliebt wird, so weiß es irgendwann darüber Bescheid, wer es ist und dass es ein wunderbarer, liebenswürdiger und sehr willkommener Mensch auf dieser Welt ist. Das bedeutet in weiterer Folge psychische Gesundheit, weil ein starkes positives Selbstwertgefühl stabilisiert, zentriert und stärkt.

Das ist nun so leicht dahin geschrieben. Aber…


… wie sieht es in Wirklichkeit oft aus mit der Entwicklung des Selbstwertgefühls?


Kleine Kinder sind zornig, wütend, aggressiv, sie schreien, stampfen und weinen. Eine – vielleicht überforderte oder selbst so geprägte Mama – äußert den Satz: „Jetzt hör aber auf zu schreien, komm`, schauen wir uns lieber das Buch hier an!“ (Ablenkung von der Emotion). Wenn das nicht funktioniert – und meistens tut es das nicht, wenn Kinder sehr emotional sind und in ihren Emotionen nicht gesehen werden – so folgt vielleicht der nächste fatale Satz von dem gestressten Papa: „Wenn du jetzt nicht sofort aufhörst zu schreien, dann kriegst du keine Nachspeise!“ (Bestrafung) oder „Sonst gehst du in dein Zimmer.“ (Ignorieren, alleine lassen). Eine andere Variante wäre noch der Vergleich zum Beispiel mit einem Geschwisterkind: „Schau, wie ruhig und lieb deine Schwester gerade malt. Nimm dir ein Beispiel.“ (Vergleichen)


All diese Sätze haben gemeinsam, dass das Kind nicht in seinen Emotionen gesehen, akzeptiert und begleitet wird mit den Gefühlen, die es gerade erlebt. Ich denke, genau an diesem Punkt beginnt aber die Entwicklung eines guten Selbstwertgefühls. Das Kind wird gesehen, gehört und vor allem auch akzeptiert und geliebt, egal welche Emotionen es gerade er- und auslebt (im Sinne von: "Okay, ich sehe, dass du dich jetzt ganz schön ärgerst darüber dass... und weinen musst du auch..." während man gleichzeitig das Kind eventuell im Arm hält bzw. auf jeden Fall präsent ist und es in seinem Fühlen begleitet).


Erfährt es allerdings ständige Ablenkung, Bestrafung, verglichen oder allein gelassen werden mit seinen Emotionen durch Erwachsene, so lernt es, seine Gefühle wegzudrängen, runterzuschlucken, nicht anzunehmen und ebenfalls, dass es nicht okay ist, diese Gefühle zu haben, dass es per se nicht okay ist, so wie es ist. Es wird andere Wege finden, seinen Selbstwert beweisen zu wollen, beispielsweise durch ständiges, übertriebenes zur Schau stellen seiner Fähigkeiten und seiner Leistung (Prahlen und Angeben) bei gleichzeitigen Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber seinen Mitmenschen. Sein Selbstwertgefühl ist auf eine Art gestört oder im schlimmsten Fall nicht vorhanden. Das kann verschiedenste Folgen haben, von nach außen hin nicht bemerkbaren inneren Leidenszuständen über problematische Beziehungen oder sich negativ auswirkenden Mustern bis hin zu psychischen Krankheiten.


Es gibt noch einige weitere Verhaltensweisen von Eltern/Bezugspersonen, die nicht gerade förderlich für ein starkes Selbstwertgefühl des Kindes sind bzw. solche, die es sein könnten, würde man sich ein bisschen Zeit nehmen, sich bewusst mit ihnen auseinanderzusetzen. Dazu mehr in einem weiteren Blog-Beitrag. Was an dieser Stelle noch vorweggenommen sei: jegliche Kritik an „elterlichen Verhaltensweisen“ soll nicht als Vorwurf oder gar Schuldzuweisung an Eltern verstanden werden. Mit all den Anforderungen und Mehrfachbelastungen des heutigen Familienalltags ist es nur allzu verständlich, müde, erschöpft oder gereizt zu sein. Gerade in solchen Zuständen fällt es oft sehr schwer, präsent zu bleiben und die Kraft und Geduld zu haben, seine Kinder so liebevoll zu begleiten, wie sie es brauchen würden für die Entwicklung eines hohen Selbstwerts. Auch verfällt man ausgerechnet in Stresssituationen häufig in alte Muster oder lebt genau die Verhaltensweisen, die man selbst als Kind von seinen Eltern vorgelebt bekommen hat. Sich mit diesen Prägungen auseinanderzusetzen, kann allerdings ein sehr erkenntnisreicher und spannender Lernprozess sein.


Was kann ich heute, als erwachsener Mensch, für ein starkes Selbstwertgefühl tun?


Welche Sätze Sie auch immer als Kind gehört haben, die vielleicht Ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigt haben, heute dürfen Sie nochmals neu hinschauen und Ihre eigenen Sätze formulieren. Beispiele dazu:


„Ich bin wertvoll, weil ich ein Mensch bin, der in diese Welt hinein geboren wurde.“


„Ich bin einzigartig, niemand ist so wie ich. Niemand hat genau dieselben Erfahrungen wie ich. Niemand denkt exakt wie ich. Niemand sieht aus wie ich. So wie ich bin, kann nur ich sein.“


„Ich muss nichts Besonderes tun oder leisten, um geliebt werden zu dürfen.“


„Ich darf so sein, wie ich bin, so fühlen, wie ich fühle, so denken wie ich denke.“


Es können viele weitere Gedanken dazu entstehen, wenn man in Kontakt mit sich selbst geht und spüren lernt, welche Prägungen und Muster einem persönlich im Weg zu einem starken Selbstwertgefühl stehen. Tatsache ist, unser Selbstwertgefühl beeinflusst unseren Umgang mit uns selbst, unser soziales Verhalten, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, unsere Art zu kommunizieren, unseren Mut, die in uns angelegten Talente oder Fähigkeiten zu entwickeln und zu leben und noch einiges mehr. Es lohnt sich also, sich mit der Entwicklung und Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls auseinanderzusetzen.


 
 
 

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