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Für Eltern: Wie könnte man das Selbstwertgefühl seiner Kinder fördern?

Warum ein starkes Selbstwertgefühl für eine gesunde psychische Entwicklung wichtig ist, habe ich in meinem Blog-Beitrag „Selbstwertgefühl und psychische Gesundheit“ bereits beschrieben. Bevor ich in das eigentliche Thema einsteige, würde ich gerne noch einen Unterschied zwischen „gesundem“ und „ungesundem“ Selbstwertgefühl machen. Ersteres meint sich selbst gut zu kennen und sich so zu lieben, wie man ist (mehr dazu: siehe Blog-Beitrag oben). Letzteres allerdings kann zweierlei meinen, ein zu hohes und ein zu niedriges Selbstwertgefühl. Beides ist meiner Ansicht nach ungesund. Menschen mit einem übertrieben hohen Selbstwertgefühl (Stichwort Narzissmus) fühlen sich generell besser als andere, stellen sich daher über andere und werten andere auch leicht ab. Hingegen machen Menschen mit einem zu niedrigen Selbstwertgefühl genau das Gegenteil, stellen ihr Licht unter den Scheffel, schauen tendenziell zu anderen auf, bewundern (oder beneiden!) diese, sehen sich aber in jedem Fall als weniger wertvoll an als andere (Minderwertigkeitsgefühle).


Nun wäre es meiner Meinung nach wichtig, Kinder so zu „erziehen“ (schöner: begleiten, mit ihnen in Beziehung gehen), dass sie weder narzisstische, selbstverliebte Persönlichkeitszüge entwickeln und auf niemanden in ihrer Umgebung Rücksicht nehmen (Stichwort Tyrannenkinder), noch aufgrund von Minderwertigkeitsgefühlen nicht zu dem erblühen können, was sie potentiell sein könnten und darunter leiden (evtl. verbunden mit sozialem Rückzug, schlechterer Leistung, Orientierungslosigkeit oder anderes).


Weiter unten folgen ein paar Gedanken und Ideen, wie man diesem Ziel als Elternteil oder Bezugsperson näherkommen könnte. Als Mama von zwei kleinen Kindern ist mir völlig bewusst, dass die Umsetzung dieser Überlegungen manchmal einer Meisterleistung gleichkommt und manchmal auch schlicht unmöglich ist. In der Theorie – wenn man sich in Ruhe bei einer Tasse Tee Gedanken macht oder ein schönes Buch darüber liest – scheinen viele Punkte so inspirierend, dass man sie das nächste Mal sofort umsetzen möchte. Steht man dann aber gestresst und hungrig im Stau am Weg zum Kindergarten bei strömendem Regen und möchte schnell seine Kinder abholen, ins Auto setzen und endlich heimkommen, fällt es schwer, ruhig, achtsam und präsent zu bleiben, wenn die Kinder vor lauter Freude/Aufregung/Spannungsabbau oder was auch immer es gerade ist, das sie fühlen, in der Garderobe zu raufen beginnen, sich gegenseitig schupfen, sich wild auf den Boden schmeißen, laut singen/schreien oder mit Schimpfwörten um sich werfen, meist begleitet von verwunderten, verständnislosen bis hin zu völlig empörten Blicken anderer Eltern, Pädagog*innen oder sonstiger Erwachsener.


Auch das ist Alltag, auch das erlebt man als Mutter oder Vater und nicht immer bleiben solche Situationen unkommentiert (im Sinne von „da hat etwas mit der Erziehung nicht geklappt“ oder ähnliches), was zu zusätzlichem Stress führen kann. Steht man aber unter Stress, so schlagen alte Muster schnell mal durch und man greift unterbewusst (eben gehirntechnisch im Stressmodus) auf eigene Prägungen zurück, darauf, wie man selbst Erziehung als Kind erlebt hat. Das kann evtl. schimpfen, zurechtweisen, ermahnen, drohen, beschuldigen, bestrafen oder auch andere – insgesamt für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls ungünstige elterliche Verhaltensweisen – bedeuten.


In einem ruhigen und gelassenen Zustand würde man völlig anders reagieren, vielleicht einmal tief durchatmen, sich bewusst machen, dass die Kinder sich nicht „schlecht benehmen“, nichts Böses tun, niemanden absichtlich ärgern wollen, sondern möglicherweise ganz einfach Spannung abbauen nach einem langen Kindergartentag mit Regeln, Anpassung und Kooperation. Man würde sich nicht gereizt oder verärgert durch ihr Verhalten fühlen, weil man in Kontakt mit seinem Wissen über die kindliche Seele ist. Man könnte empörte Blicke oder verständnisloses Kopfschütteln anderer Erwachsener getrost ignorieren und lächelnd, voller Kraft, zu seinen Kindern und über der Situation stehen. Die Kinder nehmen den Zustand ihrer Eltern sehr genau wahr und reagieren auch darauf.


Nun zu den konkreten Gedanken zur Förderung eines starken Selbstwertgefühls von Kindern:


1. Kinder in ihren Emotionen bewusst und liebevoll begleiten


Kleine Kinder durchleben jeden Tag viele verschiedene Emotionen. Freude, Neugier, Vergnügen und andere positive Emotionen sind bei Erwachsenen stets willkommen, negative Emotionen, v.a. wenn sie stark ausgelebt leben (stampfen, wüten, schreien, weinen usw.), hingegen verstören oder nerven uns eher. Deshalb gibt es eine Tendenz von Erwachsenen, das Kind (bzw. sich selbst) schnell von diesen Emotionen „erlösen“ zu wollen. Man versucht es mit ablenken (“schau, das ist aber ein schöner kuscheliger Teddybär“), ignorieren/alleine lassen („ja, ja, wein` nur“), verharmlosen/nicht ernst nehmen („ach, das ist doch nicht so schlimm!), “drohen/bestrafen („hör jetzt auf, sonst…“) oder mit belohnen, wenn es sich beruhigt. All das sind verständliche Strategien, vermitteln dem Kind aber, dass es in Ordnung ist, wütend, zornig, traurig o.ä. zu sein. Gefühle werden in weiterer Folge verdrängt, was sich an anderer Stelle bemerkbar machen wird (Verhaltensauffälligkeiten, Verstimmungen bis hin zu psychischen Erkrankungen im Jugend- oder Erwachsenenalter).


Was kann man also tun? Sein Kind voller Aufmerksamkeit begleiten, ihm helfen, seine Emotionen zu benennen („du bist jetzt aber wirklich traurig“, „du ärgerst dich gerade sehr!“ usw.), ihm die Zeit geben, die Emotion zu erleben bis sie von selbst abklingt und mit ihm gemeinsam „Lösungen“ finden. So lernt es, dass es Emotionen haben darf, ernst genommen wird, begleitet und geliebt wird, egal, was es empfindet und zusätzlich, Gefühle zu benennen und mit ihnen umzugehen.


2. Kinder in ihrer Individualität sehen und nicht vergleichen


Wir Menschen kategorisieren bzw. pauschalisieren gerne, das ist sozusagen eine „Bequemlichkeit des Gehirns“. Man muss nicht jedes Mal neu hinschauen und neu nachdenken, man hat seine Beobachtungen einmal gemacht, seine Schlüsse einmal gezogen und nun ist es praktisch und einfach, in seinem Denkmuster zu bleiben. Für Eltern bedeutet das, ihre Kinder nicht jedes Mal „neu zu beobachten“, sondern ihnen – sie nun schon gut kennend und wissend, wie sie „ticken“ – bestimmte Eigenschaften und Charakterzüge zuzuschreiben. „Die Lilli ist halt schüchtern“, „der Klaus schaut immer ernst“, „der Benni ist so charmant“. Kinder hören diese Sätze, nehmen diese Zuschreibungen auf. Manchmal entsprechen sie vielleicht der Wahrheit, manchmal sind es aber nur Beobachtungen, denen das Kind gar nicht zustimmen würde. Vielleicht war Lilli in einer bestimmten Situation schüchtern, fühlt sich generell aber überhaupt nicht so. Oder war sie niemals schüchtern, wurde nur von anderen so bezeichnet. Vielleicht ist Klaus heute ernst, morgen aber heiter und fröhlich. Mit jeder Form von Charakterisierung verlieren wir die Offenheit, unsere Kinder immer wieder aufs Neue zu betrachten, ihnen, wenn man so will, immer wieder die Chance zu geben, anders zu sein, als wir denken, dass sie sind.


„Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen“, Heraklit

Hätten wir diese Offenheit, so könnten unsere Kinder sich frei von unseren Zuschreibungen, Kategorisierungen und letztlich Bewertungen entwickeln, wissend, dass sie heute genauso sein dürfen, wie sie sind und morgen eventuell auch ganz anders.


Auch Vergleiche, beispielsweise zwischen Geschwistern, sind beliebt und leider gar nicht so selten („der Max ist so stur, die Emma viel nachgiebiger“, „der Kleine ist der Charmante, der Große der Ernste“). Solche Sätze zwingen Kindern eine Rolle auf, die sie oftmals dann auch übernehmen und lange Zeit spielen. Unterbewusst sind sie oft zu Recht wütend darüber, in eine Schublade gesteckt worden zu sein und nicht so gesehen worden zu sein, wie sie sind, vielleicht manchmal stur, manchmal aber auch nachgiebig, manchmal charmant und manchmal ernst. Letztendlich können alle Bewertungen und Vergleiche verletzend sein, weil sie die Individualität eines Kindes und die situationsabhängige Stimmung außer Betracht lassen. All zu leicht kann es dann passieren, dass sich das Kind in seinem Wesen nicht verstanden fühlt. Das schmerzt zutiefst. Gelegentlich übersehen Eltern diese Tatsache. Und wundern sich, warum ihre Kinder wütend und frustriert werden, Ärger gegen sie empfinden, ihnen nicht so sehr vertrauen, wie sie es sich wünschen würden.


Was kann man tun? Seine Kinder immer wieder neu betrachten, so sein lassen wie sie sind, ohne ihnen bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben und sie niemals vergleichen.


3. Kinder ernst nehmen und ihre eigenen Erfahrungen machen lassen


Auch wenn Kinder jünger sind und weniger Lebenserfahrung haben als ihre Eltern, sollten sie von Anfang an ernst genommen werden in ihrer Entwicklung, ihren Gefühlen (s.o.), ihren Lernschritten. Einerseits sehe ich immer wieder Belehrung und Überheblichkeit von Eltern, so zum Beispiel der Klassiker: ein Kind fällt wo runter, tut sich weh, schreit. Die Eltern reagieren – statt mit Trost und Verständnis für den Schmerz und vielleicht auch den Frust des Kindes – mit Arroganz und Besserwisserei. „Siehst du, selbst schuld, ich habe dir ja schon gesagt, dass du da nicht raufklettern sollst.“ Ja, die Eltern wissen das, haben es vielleicht auch schon mehrmals gesagt, übersehen aber, dass das Kind seine eigenen Erfahrungen machen muss. Nach einer solchen Aussage kann sich ein Kind nur irgendwie schlecht fühlen, vielleicht schuldig, vielleicht noch frustrierter, jedenfalls nicht verstanden und geliebt. Das macht aggressiv. Man könnte auch so reagieren: „Oh, du bist jetzt runtergefallen und das tut weh, oder? Ich sehe deinen Schmerz. Das tut mir leid, mein Schatz. Ich bin für dich da.“ Keine Bewertung, keine Verurteilung, keine Kritik. So kann das Kind ohne zornige Gefühle gegen die Eltern einfach erkennen, dass es weh tut, wenn man wo runterfällt und sich anhaut. Dafür kann niemand was, das ist ein einfacher Lernprozess. Und noch wichtiger, es lernt, dass es in seinem Schmerz gesehen und wahrgenommen worden ist und es aufgefangen und getröstet wird.


Andererseits ist mir auch aufgefallen, dass sich manche Eltern „liebevoll“ über die Emotionsausbrüche ihres Kindes lustig machen, z.B. indem sie Sätze sagen wie: „Oh Schatzi, das muss ja jetzt echt tragisch sein, dass du nur ein halbes Brötchen kriegst statt eines ganzen, da wirst du jetzt sicherlich verhungern…“. Natürlich ist es hier die Absicht der Eltern, das Kind zum lachen zu bringen und durch Humor das Problem zu entschärfen. Doch offensichtlich kann sich das Kind an dieser Stelle nicht ernst genommen und verstanden fühlen.

Wie aber sollen Kinder später ein Gefühl dafür entwickeln, wie es ist, ernst genommen zu werden – von Partner*innen, Kolleg*innen, Arbeitgeber*innen, Freund*innen, wenn sie dieses Gefühl aus ihrer Kindheit nicht kennen?


4. Kindern mit echter Präsenz und Achtsamkeit begegnen


Häufig sind Eltern so sehr mit sich selbst und ihren alltäglichen Anforderungen beschäftigt, dass sie ihren Kindern nicht richtig (also mit voller Zuwendung) zuhören. Passiert das immer wieder, werden Kinder frustriert. Sie kämpfen förmlich um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, indem sie ihre Fragen oder Erzählungen unaufhörlich wiederholen. Das wiederum wird von den Erwachsenen als „lästig“ oder „nervenaufreibend“ empfunden, weshalb sie erst recht nicht mehr in Ruhe zuhören können. Ein Teufelskreis. Gereizte Eltern, frustrierte Kinder.


Ich denke, wenn man jeden Tag ein bestimmtes Zeitfenster findet, in dem man sich voller Offenheit, Aufmerksamkeit und echter Präsenz (kein Handy, kein Laptop, kein TV, keine anderen Ablenkungen) seinen Kindern widmet, so ist schon viel dafür getan, dass Kinder sich beachtet, gesehen, wahrgenommen und geliebt fühlen.


Dazu fällt mir auch noch ein: wir Erwachsenen messen unserer „Erwachsenenwelt“ vielleicht manchmal ein wenig zu viel Bedeutung und Wichtigkeit bei und vergessen, wie viel wir von Kindern lernen können, wenn wir uns wahrlich auf sie einlassen, ihnen zuhören und uns voller Aufmerksamkeit mit ihnen beschäftigen.


"Die Zeit von der ich dachte, ich würde sie meinen Kindern schenken, war in Wirklichkeit die schönste Zeit, die mir geschenkt wurde" (Peter Bacher)

5. Kindern nicht die Verantwortung für die Stimmung in der Familie geben


Kinder suchen die Schuld für eine emotional belastende Situation immer bei sich selbst. Wenn es also zu Konflikten, Diskussionen oder Streitereien in der Familie kommt und Kinder diese irgendwie mit anhören (wenn auch nicht direkt anwesend sind), so wäre es wichtig, den Kindern zu erklären, dass diese unangenehme Situation nichts mit ihnen zu tun hat, sie keinesfalls schuld daran sind und ihnen versichert, dass man sie unendlich liebt. Wenn man stattdessen gar nichts sagt, bleiben vage Schuldgefühle bestehen und somit entstehen Aggressionen. Dasselbe gilt für Situationen, in denen man als Elternteil „die Nerven verloren hat“ und sein Kind vielleicht durch eine zu scharfe Reaktion zum Weinen gebracht hat. Ich persönlich empfinde es als Reife, wenn man sich bei seinem Kind entschuldigen kann und ihm erklärt, dass Mama oder Papa oder xxx auch nur ein Mensch ist und leider auch manchmal Fehler macht. Kinder verstehen das, schätzen ihre Eltern auch für ihre Ehrlichkeit und lernen vor allem, dass ist okay ist, mal Fehler zu machen. Die Möglichkeit, sich zu entschuldigen, bekommen sie auch vorgelebt.


Beachtet man diese Punkte, so denke ich, stehen die Chancen hoch, dass Kinder ein starkes Selbstwertgefühl entwickeln. Zudem führt es auch zu einer gewissen „Sättigung“ des Kindes, sodass es, als junger erwachsener Mensch, sich selbst gut kennend (selbst-bewusst), gut verankert und mit starkem Rückhalt und einer vertrauensvollen Beziehung zu seinen Eltern ein eigenständiges Leben beginnen kann.


3 Autor*innen die viel zu diesen Themen geschrieben haben, die ich mit Begeisterung gelesen habe und die ich nur wärmstens weiterempfehlen kann, sind:


Jesper Juul, Aletha Solter, Nicola Schmidt (und natürlich noch viele weitere)


#Selbstwertgefühl#Kinder#TippsEltern


 
 
 

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